Coronavirus-FAQ

Teilhaberecht

Schulschließungen suspendieren nicht die Schulpflicht. Der Unterricht findet lediglich, wenn auch in veränderter Form, nicht mehr in einer schulischen Einrichtung statt. Wenn der Hilfebedarf für eine Assistenzkraft weiterhin besteht, darf die entsprechende Leistung nicht eingestellt werden. Die Regelungen in § 112 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und S. 2 SGB IX umfassen insoweit auch eine solche Ausnahmesituation wie die infolge der Corona-Pandemie. Aufgrund dieser Vorschriften darf eine schulische Hilfe, wie hier als Schulbegleitung oder Assistenzkraft, ausnahmsweise außerhalb der Räumlichkeiten der Schule oder in deren Umfeld durchgeführt werden. Ein entsprechender Leistungsanspruch besteht hingegen nicht, wenn ein Verbot, zB aufgrund spezialgesetzlicher Vorschriften, wie etwa dem Infektionsschutzgesetz (IfSG), entsprechender (bundes-, landes- oder kommunalrechtlicher) Verordnungen oder behördlicher Verfügungen, auch solche Tätigkeiten bzw. Kontakte untersagt, um die weitere Ausbreitung des Virus zu verhindern und der Leistungserbringer seine Leistungen deshalb einstellt.

Stellt der Leistungserbringer hingegen seine Leistung zum Schutz seiner Mitarbeiter*innen ohne ein entsprechendes Verbot ein, so kommt er damit seiner arbeitgeberrechtlichen (Fürsorge-)Pflicht nach, seine Arbeitnehmer*innen vor der Gefahr für Leben und Gesundheit zu schützen (§ 618 Abs. 1 BGB). Von seiner Leistungspflicht wird er dadurch jedoch nicht frei: zum einen weil kein äußerer Zwang im Sinne einer höheren Gewalt vorliegt und zum anderen weil die Pflicht zum Gesundheitsschutz nicht zwingend in einer Leistungseinstellung bestehen muss. Liegen keine konkreten Anhaltspunkte für ein hohes bzw. erhöhtes Ansteckungsrisiko vor, so genügen idR Hinweise und Aufklärungen über mögliche Gesundheitsgefahren und Schutzmaßnahmen (vgl. § 81 Abs. 1 Satz 2 BetrVG, § 4 ArbSchG). Allerdings ist in jedem Einzelfall zu prüfen, ob der Arbeitgeber darüber hinaus ausreichende Schutzvorkehrungen zu treffen hat, indem er seinen Mitarbeiter*innen, zB für Hausbesuche, Desinfektionsmittel und Schutzkleidung zur Verfügung stellt. Je nach Einzelfall kann die Schulbegleitung bzw. Assistenzleistung in einer auf die Situation angepassten Form (zB durch Nutzung digitaler Medien, telefonisch oder per E-Mail) weiterhin erbracht werden.

Das kommt auf das Bundesland an. Hessen, Sachsen-Anhalt und Thüringen zB haben für solche Leistungen ein umfassendes Verbot erlassen, aber auch Ausnahmen dazu vorgesehen (§ 7 Zweite HessCoronaVO vom 13. März 2020; § 8 Abs. 3 Dritte LSACoronaVO vom 2. April 2020; § 10 Abs. 4 Zweite ThürCoronaVO vom 7. April 2020).  Danach dürfen zB in Hessen interdisziplinäre oder heilpädagogische Frühförderstellen für behinderte und von Behinderung bedrohte Kinder nach § 46 SGB IX, heilpädagogische Praxen, sog. Autismuszentren und familienentlastende Dienste der Behindertenhilfe von Nutzer*innen nicht betreten oder in Anspruch genommen werden (anders zB in Hamburg, Bremen oder Brandenburg vgl. § 16 HmbCoronaVO vom 2. April 2020; § 6 Abs. 3 BremCoronaVO vom 3. April 2020; § 9 BbgCoronaVO vom 22. März 2020). Das Verbot umfasst auch Angebote oder Therapiemaßnahmen im Rahmen der mobilen Frühförderung nach § 46 SGB IX, die nicht in den vorstehend genannten Einrichtungen stattfinden. Das Verbot zur Leistungserbringung in der Einrichtung oder im Rahmen der Hausbesuche gilt jedoch nicht, soweit die Inanspruchnahme des Angebots oder die Durchführung der Therapiemaßnahmen medizinisch geboten ist. In Sachsen-Anhalt und Thüringen sind Hausbesuche hingegen ausgeschlossen. Der Nachweis der medizinischen Gebotenheit ist in Hessen durch eine ärztliche Verordnung zu erbringen. Zwingend ausgeschlossen ist die Inanspruchnahme dagegen für bereits Erkrankte, sog. Kontaktpersonen und Rückkehrer aus Risikogebieten (§ 7 Abs. 2 Zweite HessCoronaVO; vgl. § 2 BremCoronaVO; § 5 Abs. 1 Meck-PomCoronaVO vom 3. April; § 7 Dritte RhPfCoronaVO vom 23. März 2020; § 5 NdsCoronaVO vom 7. April 2020; § 2 Abs. 2a NRWCoronaVO vom 22. März 2020).

In anderen Bundesländern ist die Erbringung medizinisch bzw. therapeutischer Maßnahmen regelmäßig davon abhängig, ob die Behandlung notwendig ist (vgl. § 2 Abs. 2 Nr. 7 SächsCoronaVO vom 31. März 2020; § 4 Abs. 3 Nr. 2 BayCoronaVO vom 27. März 2020; § 14 Abs. 3b BerlCoronaVO vom 2. April 2020; § 6 Abs. 2 S. 2 SHCoronaVO vom 8. April 2020; § 2 Abs. 3 Nr. 2 SaarlCoronaVO).

Werden Leistungen zur Eingliederungshilfe beantragt, agiert der Träger der öffentlichen Jugendhilfe als Rehabilitationsträger und unterliegt dem zwingend anzuwendenden Verfahrensrecht nach §§ 9 bis 24 SGB IX. Er muss etwa den Eingliederungshilfebedarf nach den Grundsätzen des § 13 SGB IX feststellen oder bei komplexen Teilhabebedarfen die erforderliche Abstimmung mit weiteren Leistungsträgern (sowie Leistungsberechtigten, ggf. Leistungserbringern) einleiten und koordinieren. Zu beachten ist, dass die verfahrensrechtlichen Fristen nach §§ 14 ff SGB IX grundsätzlich nicht verlängerbar sind. Ausnahmen sind aber gerade im Hinblick auf tatsächlich nicht zu vertretende Hindernisse (aktuell „Kontaktbeschränkung“) denkbar. Ansonsten ist bei Durchführung einer Teilhabeplanung innerhalb von sechs Wochen (nach Antragseingang) zu entscheiden, bei einer Teilhabeplankonferenz innerhalb von zwei Monaten.

Bei der im Fall der sog. Trägermehrheit zwingend durchzuführenden Teilhabeplanung nach § 19 SGB IX werden die zur Leistungskoordinierung notwendigen Informationen, Feststellungen etc grundsätzlich im Umlaufverfahren ausgetauscht. Eine persönliche Begegnung braucht es hierbei nicht. Anderes gilt im Grundsatz für die Teilhabeplankonferenz gem. § 20 SGB IX, aber auch für die Bedarfsermittlung generell. Um die für Letztere vorgesehene (einheitliche, partizipative, transparente) Verfahrensweise einzuhalten, kann je nach individueller Situation ein persönliches, beratendes Gespräch angezeigt sein. Insofern gilt aber wie bei der notwendigen Hilfeplanung nach § 36 SGB VIII, dass bei objektiver Unmöglichkeit oder Unverhältnismäßigkeit einer persönlichen Zusammenkunft (vorübergehend) andere Kommunikationswege wie Telefon- oder Videokonferenzen nutzbar zu machen sind, ggf. kann die persönliche Konsultation später nachgeholt werden.

Im Übrigen stehen Teilhabeplanung und -konferenz von vornherein im Regel-Ausnahmeverhältnis. Während die grundsätzlich schriftlich oder auf elektronischem Wege durchzuführende Bedarfs- und Leistungsabstimmung bei der Teilhabeplanung immer stattfinden muss, ist die Durchführung einer Konferenz nach § 20 SGB IX lediglich als Kann-Regelung normiert; ein von Seiten des Leistungsberechtigten diesbezüglich geäußerter Wunsch kann idR mit entsprechender Begründung, insbesondere bei unverhältnismäßigem Aufwand (§ 20 Abs. 1 S. 3 Nr. 2 SGB IX), abgelehnt werden. Zur Durchführung einer Teilhabeplankonferenz gibt es keine gesetzliche Vorgabe. Stellt sich der Aufwand einer Zusammenkunft – aktuell bspw. aufgrund Abstandsregelungen – als unverhältnismäßig dar, kann sich die Telefon- oder Videokonferenz als Alternative anbieten (vgl. Problematik bei der Hilfeplanung nach § 36 SGB VIII).

Verschiedene Bundesländer haben für Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen für Erwachsene bzw. Altersheime Beschränkungen bezüglich des Verlassens der Einrichtung erlassen (zB § 1 CoronaVO Heimbewohner BW 7.4.2020; § 2 Abs. 2a CoronaSchVO NRW vom 22.3.202; hinsichtlich Besuchseinschränkungen für ein schwerbehindertes Kind vgl. VG Gelsenkirchen 29.4.2020 – 20 L 516/20). Diese Regelungen lassen sich jedoch nicht auf Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe übertragen. Denn von Verfassung wegen darf zum einen die Freiheit der Person nur auf Grund eines förmlichen Gesetzes beschränkt werden (Art. 104 Abs. 1 GG). Zum anderen muss der parlamentarische Gesetzgeber die wesentlichen Grundrechtseinschränkungen selbst regeln. Je schwerwiegender der Grundrechtseingriff ist, desto mehr muss die Regelungsdichte des Gesetzes ausfallen. Der Grundrechtseingriff muss schließlich verhältnismäßig sein. Eine Verlassensbeschränkung („Ausgangssperre“ oder „Heimarrest“) für in einer SGB VIII Einrichtung untergebrachte minderjährige Behinderte stellt einen wesentlichen Grundrechtseingriff dar, der demnach eigengesetzlich zu regeln wäre. Eine Übertragung der Beschränkungen für Bewohner*innen zB aus Alten- und Pflegeheimen scheitert zudem schon daran, dass diese zu ihrem eigenen Schutz die Einrichtung nach Möglichkeit nicht verlassen sollen (vgl. CoronaVO Heimbewohner BW 7.4.2020).

Eine ausdrückliche, eigengesetzliche Regelung zu Verlassensbeschränkungen findet sich allein in der Verordnung des Landes Brandenburg. Dort ist ausdrücklich geregelt, dass Heimfahrten für in SGB VIII untergebrachte Kinder und Jugendliche ausgesetzt sind (vgl. § 9 Abs. 2 S. 2 SARS-CoV-2-EindV vom 22.3.2020).

Auch wenn die jeweilige Landesverordnung/Allgemeinverfügung keine Verlassensbeschränkung vorsieht, kann dem behinderten Minderjährigen die Heimfahrt bzw. Umgangskontakt im Elternhaus im Einzelfall aufgrund anderer gesetzlicher Bestimmungen untersagt werden, zB aufgrund von § 30 IfSG, wenn also das Gesundheitsamt die Quarantäne des Kindes dessen Eltern angeordnet hat (vgl. FAQ unter der Rubrik Umgangs-/Sorgerecht).

Die allgemeinen Bestimmungen der Länder und Kommunen zur Beschränkung der persönlichen Kontakte stehen einem Besuch des behinderten Kindes im Elternhaus dagegen grundsätzlich nicht entgegen, denn die Kontaktmöglichkeit zwischen Kind und Eltern gehört nach Ansicht des Instituts zum nötigen Kontaktminimum. Gleichwohl ist in jedem Fall zwischen Kontaktbedürfnis und Gesundheitsschutz der Beteiligten abzuwägen.

Der Kontakt auch für längere Zeit (zB Wochenendbesuch) in gewohntem Umfeld (zB Elternhaus) kann für die Aufrechterhaltung der Eltern-Kind-Bindung, der positiven Persönlichkeitsentwicklung des jungen (behinderten) Menschen und/oder seines Gesundheitszustandes wesentlich förderlich sein. Je nach Alter des Kindes können andere Formate des Umgangskontakts (gemeinsamer Spaziergang im Freien, Kontakt in digitaler Form oä), die weniger Ansteckungsgefahr mit sich bringen, vereinbart werden. Gehört das Kind oder seine Eltern zur Risikogruppe, wird ein persönlicher Kontakt eher ausgesetzt werden, solange die Kontaktunterbrechung nicht zu einer zu starken Belastung für das Kind führt.

Zwar ist nachvollziehbar, dass Einrichtungen die Ansteckungsgefahr für die anderen Bewohner*innen der Einrichtung und das Personal möglichst gering halten wollen, ein pauschales Aussetzen der Umgangskontakte oder gar ein Verlassensverbot rechtfertigt dies jedoch nicht. Ist mit Blick auf das Wohl des Kindes ein Aussetzen des Besuchs bei den Eltern nicht zumutbar, müssen Wege gefunden werden, die beiden Interessen gerecht werden (zB Zusage der Eltern und des Kindes Schutzmasken zu tragen und den Mindestabstand einzuhalten; vgl. Rechtmäßigkeit Maskenpflicht zB ÖPNV BayVGH 7. 5.2020 - 20 NE 20.926).

a) …im Rahmen der Eingliederungshilfe gem. § 35a SGB VIII?

Ausnahmsweise darf Schulbegleitung auch außerhalb der Schule durchgeführt werden, um die Behinderungsfolgen zu beseitigen oder zu mildern und dem behinderten Kind die Schulbildung zu ermöglichen und zu erleichtern. Dies folgt aus § 35a Abs. 3 SGB VIII iVm § 90 Abs. 1 und 4 SGB IX iVm § 102 Abs. 1 Nr. 3, 112 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und S. 3 SGB IX. Danach umfassen die Leistungen zur schulischen Teilhabe Hilfen zu einer Schulbildung sowie heilpädagogische und sonstige Maßnahmen, wenn sie erforderlich und geeignet sind, dem behinderten Kind den Schulbesuch zu ermöglichen oder zu erleichtern. Erforderlich und geeignet ist eine Schulbegleitung, wenn sie sich gegen die behinderungsbedingten Folgen, wie zB Kommunikations- bzw. Artikulationsdefizite, richtet und dem*der Behinderten auf diese Weise den Zugang zur schulischen Bildungsteilhabe ermöglicht oder sichert, der ihm*ihr wegen seiner Behinderung sonst versperrt wäre.

Die Schule ist zunächst eine Wissenseinrichtung. Zu ihren Kernaufgaben gehören im Wesentlichen Wissensvermittlung, Unterrichtsgestaltung, Vermitteln auf individuelle Fähigkeiten und Fertigkeiten abgestimmter Lerninhalte oder Vermitteln lebenspraktischer Fähigkeiten und Fertigkeiten. In diesem Bereich ist die Eingliederungshilfe als schlichte Unterstützung schulischer Leistungen zu erbringen, um behinderungsbedingte Barrieren zu beheben, dh die Hilfe muss dem behinderten Kind die Teilnahme am (Fern-)Unterricht ermöglichen. Die schulischen Kernkompetenzen muss sie hingegen unberührt lassen (dazu sogleich unter b). Gleichwohl ist die Schule ein Ort der Teilhabe. Auch in diesem Bereich muss die Eingliederungshilfe auf den Abbau behinderungsbedingter Barrieren gerichtet sein. Die Schulbegleitung muss insofern (wiederum) an den sozialen Folgen einer seelischen Behinderung anknüpfen, sich also zB gegen behinderungsbedingte Abkapselung, Isolation, Beziehungsarmut, Kommunikations- bzw. Artikulationsdefizite richten, um dem*der Behinderten den Zugang zur schulischen Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu sichern.

An dieser beispielhaften Aufzählung zeigt sich, dass behinderungsbedingte Barrieren durch den Fernunterricht idR nicht verschwunden sind. Im Gegenteil ist auch in diesem neuen Kontext der Anwendungsbereich der Eingliederungshilfe eröffnet. So kann die Hilfe zB nach wie vor auf das behinderungsbedingte Sozialverhalten des Kindes gerichtet sein, um den virtuellen Echtzeitunterricht durch seine Impulsivität oder sein Aufmerksamkeitsbedürfnis nicht zu stören, bei inhaltlichen Verständnisfragen oder sozialen Kontaktbedürfnissen sich an seine*ihre Mitschüler*innen zu wenden oder an einer virtuellen Lern-AG teilzunehmen, mithin seine Fähigkeiten zu Kommunikation und sozialadäquatem Verhalten praktisch einzuüben.

Daher kann die Schulbegleitung als Hilfe zur Schulbildung grundsätzlich auch zuhause geleistet werden.

 

b) …außerhalb des schulischen Kernbereichs

Leistungen zur Teilhabe an Bildung haben allerdings lediglich unterstützenden Charakter. Sie umfassen neben einfachen Assistenzleistungen, wie der Übernahme von körperlichen Handlungen, auch die erwähnten heilpädagogischen und sonstige Maßnahmen zur Förderung und Sicherung der allgemeinen Schulfähigkeit. Hierbei handelt es sich insbesondere um Leistungen, die zur Aufsuchung des Lernortes und/oder zur Teilnahme an der Vermittlung von Bildungsinhalten notwendig sind oder das ermöglichen, wie zB Therapien zur Förderung und Sicherung der allgemeinen Schulfähigkeit.

Die Leistungen umfassen jedoch grundsätzlich keine Maßnahmen, die der schulischen Kernkompetenz zugeordnet sind. Ein inhaltlicher Haus- (Regel-) Schulunterricht (Fernunterricht) ist deshalb dem Leistungsbereich der Eingliederungshilfe von vorneherein entzogen. Dasselbe gilt dem Grunde nach für die Nachhilfe. Da durch sie Wissen vermittelt wird, ist die schulische Kernaufgabe betroffen. Nur unter engen Voraussetzungen ist die Nachhilfe als Leistung nach § 35a SGB VIII überhaupt denkbar. Das kann zB dann der Fall sein, wenn sie Gegenstand oder Teil einer Therapie darstellt. Dazu müssen allerdings die Anspruchsvoraussetzungen des § 35a SGB VIII gegeben sein. In diesem Zusammenhang ist höchstrichterlich geklärt, dass allgemeine Schulprobleme und Schulängste für sich genommen noch nicht genügen, um eine seelische Störung bzw. Teilhabebeeinträchtigung anzunehmen (BVerwG 26.11.1998 – 5 C 38/97; vgl. OVG Koblenz 26.3.2007 – 7 E 10212/07, NJW 2007, 1993; OVG Münster 20.11.2017 – 12 B 1124/17; OVG Lüneburg 27.9.2018 – 10 ME 357/18; OVG Lüneburg 12.2.2020 – 10 ME 36/20). Da Schulprobleme und Schulängste alle Schüler*innen betreffen können, fehlt es an der für die Annahme der Teilhabebeeinträchtigung erforderlichen intensiven Auswirkung der Behinderung (vgl. Breite, Tiefe und Dauer stRspr BVerwG; vgl. BVerwG 26.11.1998 – 5 C 38/97; BVerwG 28.9.2000 – 5 C 29.99).

 

c) …unter Anpassung der Hilfe an veränderten Bedarf?

Der Leistungsumfang der Eingliederungshilfe richtet sich grundsätzlich nach dem konkreten Bedarf. Problematisch ist, dass beim Coronavirus-bedingten neuen Format des Fernunterrichts aufgrund der beschränkten Aktionsmöglichkeiten einerseits ein geringerer Hilfebedarf gegeben sein könnte, andererseits möglicherweise ein weitergehender Bedarf ausgelöst wird, der vom Leistungsspektrum der Teilhabe an Bildung (§ 35a SGB VIII iVm § 112 SGB IX) nicht gedeckt ist. So gibt es bei diesem neuen Fernunterrichtsformat uU keine*n (medial anwesende*n) Lehrer*in, der*die im unmittelbaren Zusammenhang der Stoffvermittlung, den Stoff- oder Unterrichtsinhalt erklärt, Nachfragen dazu beantwortet oder selbst eine umgehende Lernkontrolle bei den Schüler*innen vornimmt. Auf diese Weise entstehen möglicherweise Wissens- oder Verständnislücken, mithin ein „Nachhilfebedarf“.

Da der Schulunterricht inhaltlich weiterhin stattfindet, wenngleich in veränderter, zB in virtueller oder digitaler Form zuhause, ist zunächst vom Fortbestehen des bisherigen Teilhabebedarfs auszugehen, der durch eine individuelle bedarfsgerechte Leistung zu decken ist. Ein neuer oder weitergehender Bedarf wäre nach Ansicht des Instituts ebenfalls über die Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII zu decken, wenn er nicht über die den Eltern bereits bewilligten Assistenzleistungen nach § 20 SGB VIII oder § 27 SGB VIII (siehe unten) gedeckt werden kann.

Neben oder anstelle von Eingliederungshilfe kann Unterstützung in Notsituationen nach § 20 SGB VIII geleistet werden, sofern die Voraussetzungen dieses Anspruchs vorliegen (zur ausnahmsweise möglichen Erweiterung des Tatbestands auf Jugendliche vgl. FAQ unter der Rubrik Hilfen zur Erziehung – Stationär). Erfasst sind damit gerade auch Notsituationen, in denen Eltern aufgrund äußerer Umstände die erforderliche Alltags-Betreuung und -beaufsichtigung ihrer Kinder nicht sicherstellen können. Das schließt insbesondere auch die sog. Hausaufgabenbetreuung, nicht aber weitergehende Angebote der Lernförderung oder Nachhilfe mit ein. Die Unterstützung bei der Vorbereitung und Teilnahme am Fernunterricht kann nach Ansicht des Instituts ebenfalls im Rahmen der Notbetreuung nach § 20 SGB VIII gewährt werden. Für eine solche Form der „technischen“ Unterstützung müssen somit weder erzieherische Defizite iSd §§ 27. SGB VIII vorliegen, noch die Voraussetzungen der Eingliederungshilfe.

Reicht die Unterstützung nach § 20 SGB VIII nicht aus, ist schließlich an erzieherische Hilfen nach § 27 Abs. 2 SGB VIII zu denken. Voraussetzung hierfür ist, dass ein erzieherischer Bedarf vorliegt. Dieser könnte zB darin bestehen, dass die Eltern selbst außerstande sind, das Kind im Rahmen des Fernunterrichts zu motivieren, anzuleiten, zu begleiten oder praktische Hilfestellungen zu geben.

Hier kann es zu Abgrenzungsproblem kommen, wenn die Schulbegleitung im Elternhaus des behinderten Kindes stattfindet, dh der Schulbegleiter einen etwaigen erzieherischen Bedarf mitabdeckt.

Eine strikte Trennung zwischen Teilhabebedarf und erzieherischem Bedarf ist in der Praxis oftmals nicht möglich. Schulischer Nachhilfebedarf bzw. eine defizitäre schulische Förderung für sich alleine muss nicht zwingend einen erzieherischen Bedarf auslösen (OVG Münster 15.10.2008 – 12 B 1452/08, JAmt 2009, 201). Wie § 35a Abs. 4 SGB VIII zeigt, geht der Gesetzgeber vom nebeneinander bestehenden oder ineinander greifenden Hilfebedarf aus, der dann nach Möglichkeit ganzheitlich zu erbringen ist.

Das bedeutet, dass ein behinderungsbedingter erzieherischer Bedarf grundsätzlich durch die Schulbegleitung mitabgedeckt werden darf. Das setzt jedoch voraus, dass es sich um hierfür geeignete Hilfskräfte handelt.

Zeigt sich hingegen ein verstärkter erzieherischer Bedarf neben dem Teilhabebedarf, so ist die zusätzliche Gewährung von HzE möglich. Voraussetzung dafür ist eine Mangellage in der Erziehung. Eine solche kann zB durch den Ausfall von Erziehungsleistungen infolge eigener Krankheit oder Behinderung oder infolge Überforderung des neuen schulischen Unterrichtsformats bestehen. Ob ein erzieherischer Bedarf, der von der Schulbegleitung mitabgedeckt werden kann, oder ein gesonderter Bedarf für zu „beantragende“ erzieherische Leistungen besteht, entscheidet sich unter fachlichen Gesichtspunkten (Beurteilungsspielraum) ua danach, ob es sich schwerpunktmäßig um einen spezifischen behinderungsbedingten Hilfebedarf handelt bzw. ob der Hilfebedarf in engem Zusammenhang mit einem Erziehungsdefizit bzw -ausfall steht („Mangellage“). Im ersten Fall müsste die Zielrichtung der Hilfe stets die Ermöglichung oder Sicherung der Teilhabe des behinderten Kindes sein. Im zweiten Fall sollen die elterlichen Erziehungskompetenzen (wieder)hergestellt werden. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang aber auch bei in Betracht kommenden Erziehungshilfen stets die nach § 9 Abs. 1 SGB IX gebotene vorrangige Prüfung von Teilhabeleistungen.

Ferner ist an Bildungs- und Teilhabe-Leistungen nach § 28 Abs. 5 SGB II zu denken (vgl. DIJuF-Rechtsgutachten DRG-1111). Dabei handelt es sich um besondere Maßnahmen zur Lernförderung zur Sicherung der schulischen (Lern-) Ziele – also insbesondere um klassischen „Nachhilfeunterricht“. Diese kommen aber grundsätzlich nur dann in Betracht, wenn keine vorrangigen Ansprüche der Jugendhilfe bestehen. Letzteres gilt insbesondere für die Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII bzw. bei einer seelischen Behinderung. Die Leistungen nach § 35a SGB VIII genießen zwar ausdrücklich Vorrang (§ 10 Abs. 3 S. 1 SGB VIII, § 5 Abs. 1 S. 1 SGB II), allerdings kommt ein Anspruch nur bei Vorliegen der bereits erwähnten sehr engen Voraussetzungen in Betracht.

Werden Eltern bereits sog. Elternassistenzleistungen gewährt, könnten diese erweitert werden um den kindbezogenen Bedarf. Dagegen spricht zunächst das sog. Prinzip der Personenzentriertheit von Teilhabeleistungen. Das bedeutet, dass sich die Hilfe an die behinderten Eltern zu richten hat, statt an das Kind.

Andererseits wurde § 78 Abs. 3 SGB IX eingeführt, um Eltern mit Behinderung(en) bei der Erfüllung ihrer elterlichen Aufgaben zu stärken. Die Assistenzleistungen umfassen nicht nur die einfache „Elternassistenz“, dh die Übernahme von körperlichen Handlungen zur Alltagsbewältigung, sondern auch die „begleitete Elternschaft“ (qualifizierte Assistenz). Bei der begleiteten Elternschaft geht es um pädagogische Anleitung, Beratung und Begleitung zur Wahrnehmung der „Elternrolle“ (BT-Drs. 18/9522, 263). Damit wird die Befähigung der Eltern bei der Betreuung ihres/r Kindes/Kinder bzw. in der Stärkung ihrer Elternrolle bezweckt.

Im Hinblick auf den Fernunterricht ist deshalb zu differenzieren: einfache körperliche Handlungen oder Aufgaben dürfen über eine bereits gewährte einfache Assistenz erbracht werden. Das können Hilfestellungen bei chemischen und/oder physikalischen Experimenten oder sportlichen, musischen oder künstlerischen Aktivitäten sein. Nicht-körperliche Tätigkeiten im Rahmen des schulischen Alltags zu Hause sind davon nicht erfasst, wenn sie darauf gerichtet sind, das Kind zur (eigenständigen) Aufgabenerfüllung zu motivieren, anzuleiten oder zu begleiten. Geht es also zB um die Verteilung und/oder Überprüfung erledigter schulischer Aufgaben, dürfen diese Aufgaben nicht von einer bereits vorhandenen Assistenz erbracht werden.

Insgesamt ist also festzuhalten, dass die Schulbegleitung als Eingliederungshilfe auch zu Hause beim behinderten Kind erbracht werden darf. Liegen die Voraussetzungen der Eingliederungshilfe vor, kann Unterstützung beim Fernunterricht für das Kind erbracht werden. Die Nachhilfe (Lernförderung) kommt hingegen regelmäßig nur als Gegenstand oder Teil einer Therapie in Betracht. Daneben oder alternativ ist Unterstützung beim Fernunterricht auch unter den jeweiligen Voraussetzungen der Notversorgung oder weitergehender Hilfe zur Erziehung für die Eltern möglich. Werden bereits Elternassistenzleistungen erbracht, so umfassen diese ebenfalls unterstützende körperliche Tätigkeiten für das Kind im Rahmen des Fernunterrichts. Die Motivierung zur Erledigung schulischer Aufgaben oder deren Überprüfung fällt bspw. nicht darunter.

Wegen der Vielzahl an finanziellen Möglichkeiten zur Abfederung wirtschaftlich nachteiliger Folgen aufgrund der Corona-Pandemie beschränken sich die nachstehenden Ausführungen auf drei mögliche Hilfen (vgl. zB die knapp 50 Seiten umfassende Übersicht der Soforthilfen zur Abfederung der finanziellen Auswirkungen während der Corona-Pandemie der Bundesagentur für Arbeit; weitere ausführliche Informationen zu einzelnen Maßnahmen der sog. Sozialschutz-Pakete stellt das BMAS zur Verfügung). Maßgeblich ist stets der Einzelfall.

Anspruch aus Leistungsvereinbarung auf Grundlage des Persönlichen Budgets
Hier ist zu differenzieren zwischen dem Dienstleistungsverhältnis und den Vergütungsansprüchen gegen den Hilfeberechtigten als „Arbeitgeber“ einerseits und dessen eigenen sozialrechtlichen Ansprüchen andererseits. Dem Hilfeberechtigten steht das Persönliche Budget (PB) zu, wenn er einen entsprechenden Anspruch auf Eingliederungshilfe bzw. auf Leistungen zur Teilhabe hat. Der Hilfeberechtigte soll sich durch das PB die Eingliederungshilfe selbst „kaufen“ können. Er bestimmt den Leistungserbringer sowie die Art und Weise des Dienstleistungsverhältnisses einschließlich der Vergütung.
Ein Anspruch des Schulbegleiters auf „Ausfallleistungen“ könnte sich deshalb gegen die nach dem SGB VIII hilfeberechtigte Person richten. Hierbei kommt es auf die (Dienst-) Leistungsvereinbarung zwischen ihr und dem Schulbegleiter an, die nach Maßgabe des Bewilligungsbescheides iVm mit der Budgetvereinbarung nach § 29 Abs. 4 SGB IX geschlossen wurde. Wenn in diesem Rechtsverhältnis eine „erfolgsbezogene“ Leistungsvergütung vereinbart wurde, dann besteht für nicht geleistete Assistenzstunden kein Vergütungsanspruch. Vielmehr werden nur die tatsächlich erbrachten Stunden des Schulbegleiters vergütet. Das Ausfallrisiko im Falle einer „Nichtausführbarkeit“ der Leistung trägt dann die Assistenzkraft. Auch ohne „coronobedingte“ Unmöglichkeit der Leistung wäre die bloße Leistungsbereitschaft demnach nicht ausreichend. Maßgeblich ist allerdings stets die entsprechende Leistungs- und Vergütungsbestimmung im Einzelfall.
Wie allerdings unter den FAQ zum Teilhaberecht ausgeführt, dürfen Leistungen für eine Schulbegleitung nicht eingestellt werden, wenn der Hilfebedarf für eine Assistenzkraft weiterhin, wenn auch in alternativer Form, besteht. Das JA ist deshalb zur Prüfung angehalten, ob das aufgrund des Bewilligungsbescheides ergangene Persönliche Budget „weiterlaufen“ kann, um dem hilfeberechtigten Budgetnehmer die aus seiner Sicht notwendigen Alternativleistungen zur Sicherstellung des Hilfebedarfs (im „Homeschooling“) und damit auch die Vergütung des Schulbegleiters zu ermöglichen.

Anspruch nach dem SodEG
Nach Ansicht des Instituts bestehen im Falle eines PB zwischen dem JA und dem Schulbegleiter keine Rechtsbeziehungen. Ein Anspruch auf Zuschuss gemäß § 3 Sozialdienstleister-Einsatzgesetz (SodEG) gegenüber dem JA scheidet deshalb aus. Dasselbe gilt gegenüber dem Hilfeberechtigten. Dieser erbringt nicht die nach dem SodEG erforderlichen Sozialleistungen bzw. er ist kein Sozialleistungsträger iSd § 2 Abs. 1 SodEG iVm § 12 SGB I iVm §§ 18 ff. SGB I). Dem Hilfeberechtigten steht gegenüber dem JA kein Anspruch nach dem SodEG zu, da der Hilfeberechtigter kein Sozialdienstleister ist.

Anspruch auf Kurzarbeitergeld
Ein Anspruch auf Kurzarbeitergeld nach §§ 95 ff. SGB III erfordert, dass mindestens ein ungekündigt sozialpflichtiger Arbeitnehmer beschäftigt wird, der Betrieb einen erheblichen Arbeitsausfall mit Entgeltausfall erleidet und dies der Arbeitsagentur rechtzeitig angezeigt wurde. Das Kurzarbeitergeld ist in drei Fällen denkbar:

1. Im ersten Fall ist der Hilfeberechtigte der Arbeitgeber des Schulbegleiters. Das Kurzarbeitergeld setzt allerdings eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung voraus. Bei einer geringfügigen Beschäftigung, zB als Minijob scheidet das Kurzarbeitergeld bspw. aus.

2. Im zweiten Fall ist der Schulbegleiter bei einem „Betrieb“ in freier bzw. privatgewerblicher Trägerschaft beschäftigt, dessen Dienste sich der hilfeberechtigte Budgetnehmer bedient. Hier müsste der Betrieb die Erstattungsleistung beantragen.

3. Dasselbe gilt für die sog. Solo-Selbstständigen. Auch solche selbständig beschäftigten Schulbegleiter können Kurzarbeitergeld beziehen, wenn sie einen Anspruch auf ALG I haben. Das wäre der Fall, wenn sie eine sog. freiwillige Versicherung nach § 28a SGB III eingegangen sind, also freiwillig in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt haben.

Anspruch auf ALG II
Als „Auffang-Anspruch“ kommen schließlich Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende in Betracht (§ 19 Abs. 1 S. 1, S. 3 SGB II). Diese Hilfe kann jede hilfebedürftige Person beantragen, die keine oder zu geringe finanzielle Mittel hat, um den Lebensunterhalt für sich (und die eigene Familie) sicherzustellen. Im Zuge der Sozialschutzpakete hat der Gesetzgeber den Zugang zur Grundsicherung, zB hinsichtlich der Vermögensprüfung, vorübergehend erleichtert.