Coronavirus-FAQ

Vormundschaft/Pflegschaft

Die Fachkraft, die die Aufgaben des Jugendamts als Vormund*in oder Pfleger*in wahrnimmt, hat grundsätzlich nach § 1793 Abs. 1a BGB die Pflicht, den persönlichen Kontakt mit dem Kind oder der*dem Jugendlichen zu halten, und sie oder ihn einmal im Monat in dessen*deren üblicher Umgebung aufzusuchen, sofern nicht im Einzelfall kürzere oder längere Besuchsabstände oder ein anderer Ort geboten sind. Ob kürzere oder längere Besuchsabstände oder ein anderer Ort geboten sind, ist eine auf den Einzelfall bezogene Entscheidung, die zu den weisungsfreien Angelegenheiten der Fachkraft zählt.

Corona suspendiert die Kontaktpflicht nicht per se, die allgemeinen Vorgaben zum Verhalten in der gegenwärtigen Situation sprechen jedoch im Regelfall dafür, derzeit von persönlichen Kontakten zwischen Fachkraft und Kind bzw. Jugendlicher oder Jugendlichem in der üblichen Umgebung abzusehen. In Bezug auf ältere Kinder und Jugendliche ist zu prüfen, ob ein Spaziergang im Freien unter Einhaltung des erforderlichen Abstands eine mögliche Form, den persönlichen Kontakt zu wahren, darstellen kann. Ein persönlicher Kontakt in einer solchen Form sollte jedoch nur dann erfolgen, wenn er dem Willen des Kindes oder der*dem Jugendlichen entspricht. Er kommt zudem nur dort in Betracht, wo der gemeinsame Aufenthalt von zwei Personen, die nicht im gleichen Haushalt leben, im Freien überhaupt rechtlich zulässig ist.

Zugleich können derzeit gerade mehr als monatliche Kontakte in anderer Form geboten sein. Dies gilt in Bezug auf ein in einer Pflegefamilie lebendes Kind ebenso wie in Bezug auf ein Kind, das in einer Einrichtung untergebracht ist. So kann die Pflegefamilie durch den Wegfall unterstützender Angebote oder einer Kindestagesbetreuung besonders belastet sein. Im Hinblick auf die Erforderlichkeit von einem Mehr an Kontakt ist durch die Fachkraft zudem sicherzustellen, dass sie für das Kind, die*den Jugendliche*n, aber auch für die Pflegeeltern bzw. die betreuenden Erzieher verlässlich erreichbar ist.

Wurde für das Kind oder die*den Jugendliche*n durch das Gesundheitsamt eine Quarantäne nach § 30 IfSG angeordnet, wird die Pflicht zum persönlichen Kontakt nach § 1793 Abs. 1a BGB, jedoch nicht die Pflicht zum Kontakt insgesamt suspendiert. Ordnet das Gesundheitsamt eine Quarantäne nach § 30 IfSG gegenüber der Fachkraft an, weil ein Verdachtsfall vorliegt, ist die arbeitsrechtliche Einschätzung der Anordnung aus der Perspektive des Instituts derzeit noch nicht vollständig geklärt. Zu orientieren ist sich derzeit an den Vorgaben des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe. Sofern der Träger der öffentlichen Jugendhilfe bei Quarantäne allein wegen eines Verdachtsfalls die Fachkräfte verpflichtet, ihren Pflichten soweit wie möglich von zu Hause aus nachzukommen, besteht die Pflicht zum Kontakt weiterhin und entfällt allein die Pflicht zum persönlichen Kontakt.

Nach allgemeinen Regeln besteht keine Pflicht zum Kontakt, wenn die Fachkraft sich gegenüber dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe krankgemeldet hat. Die Pflichten der Fachkraft inklusive der Pflicht zum (persönlichen) Kontakt sind dann durch ihre Vertretung wahrzunehmen. Sofern während der Quarantäne einer Fachkraft, die während der Quarantäne von zu Hause aus tätig ist, da die diese nur wegen des Verdachts einer Infizierung angeordnet wurde, ein persönlicher Kontakt erforderlich wird, ist dieser ebenfalls durch die Vertretung wahrzunehmen.

Die Pflicht zum grundsätzlich monatlichen persönlichen Kontakt mit dem Kind in dessen üblicher Umgebung ist eine wesentliche Pflicht der Fachkraft. Hinsichtlich der Wahrnehmung dieser Pflicht ist die Fachkraft nach § 1840 Abs. 1 BGB gegenüber dem Familiengericht berichtspflichtig ist. Nach Auffassung des Instituts ist es in der derzeitigen Situation jedoch nicht erforderlich, dem Familiengericht mitzuteilen, dass aktuell kein monatlicher persönlicher Kontakt stattfindet, weil es zum Allgemeinwissen zählt, dass derzeit persönliche Kontakte soweit wie möglich zu vermeiden ist. Die Fachkraft sollte jedoch dokumentieren, auf welche andere Art und Weise und wie oft sie mit dem Kind oder der Jugendlichen Kontakt hatte.

Hinsichtlich der Wahrnehmung von Kontakten zum Kind oder zur Jugendlichen in anderer Form als persönlich, insbesondere durch Kommunikationsmittel wie WhatsApp oder andere Messengerdienste, Skype, Facebook etc ergeben sich die gleichen Fragestellungen wie in anderen Tätigkeitbereichen des Jugendamts. Es wird daher insoweit auf die ausführlichen Ausführungen unter dem Stichwort „Datenschutz“ in den Coronavirus-FAQ des Instituts verwiesen, aus denen sich zusammenfassend ergibt, dass letztlich derzeit diese Kommunikationsformen als datenschutzrechtlich zulässig anzusehen sind, wenn andernfalls faktisch keine Möglichkeit zur Wahrnehmung der Kontaktpflicht besteht.

Die Möglichkeit einer Fachkraft zum persönlichen Kontakt mit dem Kind setzt in Bezug auf das Hausrecht der Pflegeeltern bzw. der Einrichtung voraus, dass diese der Fachkraft das Betreten der Räumlichkeiten gestatten. Strenggenommen müsste die Fachkraft daher dann, wenn sie von den Pflegeeltern oder der Einrichtung ein Hausverbot erhält, ihr Einverständnis mit der Unterbringung des Kindes oder des*der Jugendlichen in dieser Pflegefamilie oder dieser Einrichtung zurücknehmen. In der aktuellen Situation sind „Hausverbote“ durch Pflegeeltern und Einrichtung anders als unter normalen Umständen zu bewerten, sofern Pflegeeltern und Einrichtung die Fachkraft darin unterstützen, auf andere Art und Weise Kontakt mit dem Kind oder dem*der Jugendlichen zu halten.

Gerade im Hinblick auf die besonderen Belastungssituationen, denen Pflegefamilien und Einrichtungen in der derzeitigen Situation ausgesetzt sind, ist es andererseits weiterhin erforderlich, dass das Kind oder der*die Jugendliche mit der Fachkraft kommunizieren kann, ohne dass die Pflegeeltern oder betreuende Erzieher*innen an der Kommunikation teilnehmen. Insofern sind Pflegeeltern und betreuende Erzieher*innen bei kleineren Kindern, die die modernen Kommunikationsformen noch nicht eigenständig nutzen können, zu bitten, dem Kind eine geschützte private Kommunikation mit der Fachkraft zu ermöglichen.

Bricht die Kommunikation zu einem in einer Pflegefamilie lebenden Kind vollständig ab, ist eine persönliche Kontaktaufnahme durch die Fachkraft bzw. durch eine andere Fachkraft des Jugendamts zwingend. Ein Kontaktabbruch ist wie auch in anderen Zeiten stets als Anhaltspunkt für eine eventuelle Kindeswohlgefährdung zu werten.

Aufgrund der Schließung von Kindertageseinrichtungen, von Schulen, von schulischen Betreuungsangeboten etc hat die Fachkraft zu prüfen, ob für das Kind oder den*die Jugendliche*n ergänzende Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe zur Entlastung der Pflegeeltern bzw. der Fachkräfte der Einrichtungen erforderlich werden. Insbesondere ist zu prüfen, ob ein Kind bei einer besonderen Belastung der Pflegefamilie einen Platz in einer der Einrichtungen zur Kindernotbetreuung erhalten kann, denn die meisten Träger der öffentlichen Jugendhilfe bieten Plätze in der Notbetreuung nicht nur dann an, wenn beide Erziehungsberechtigte oder eine Alleinerziehende in Bereichen der sogenannten kritischen Infrastruktur tätig sind, sondern in Einzelfällen auch aus anderen Gründen. Zudem kann die Fachkraft sich bei den Pflegeeltern danach erkundigen und sie, falls erforderlich, dabei unterstützen, ihren Beratungsanspruch nach § 37 Abs. 2 SGB VIII geltend zu machen. Ebenso wie die Kontaktpflicht der Fachkraft wird auch der Beratungsanspruch der Pflegeeltern durch Corona nicht suspendiert. Auch für das Kind oder den*die Jugendliche*n kann sich in der aktuellen Situation ein besonderer Unterstützungsbedarf ergeben, dem durch weitere Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe oder der Krankenkassen zu entsprechen ist.

Erkrankt ein Kind oder ein*e Jugendliche*r, ist auch dann weiterhin die Einwilligung der Fachkraft als gesetzliche*r Vertreter*in des Kinds in Angelegenheiten der Gesundheitssorge in die erforderlichen ärztlichen Maßnahmen notwendig, wenn die Fachkraft keinen persönlichen Kontakt mit dem Kind oder der*dem Jugendlichen mehr wahrnehmen kann, da für das Kind oder den*die Jugendliche*n Quarantäne angeordnet wurde. Die Fachkraft hat sich dann vor ihrer Entscheidung nach allgemeinen Grundsätzen durch den behandelnden Arzt aufklären zu lassen und, sofern möglich, auch mit dem Kind oder der*dem Jugendlichen zu sprechen. Erkrankt das Kind ist, wie insgesamt in der derzeitigen Situation in der Tendenz ein Mehr an Kontakt und allein ein Weniger an persönlichem Kontakt erforderlich, um dem Kind oder der*dem Jugendlichen beizustehen, ihr bzw. ihm die Situation und die wahrscheinliche weitere Entwicklung zu erklären, darauf hinzuweisen, dass der Verlauf der Erkrankung bei Kindern und Jugendlichen in der Regel nur ein leichter ist, etc, um dem Kind oder der*dem Jugendlichen Ängste zu nehmen.

Der Stellung der Fachkraft als gesetzliche*r Vertreter*in nach § 55 Abs. 3 S. 2 SGB VIII entspricht eine besondere Stellung der Fachkraft im Amt. So unterliegt die Amtsführung der Fachkraft nur einem eingeschränkten Weisungsrecht (DIJuF JAmt 2019, 615; DIJuF JAmt 2013, 97; DIJuF JAmt 2011, 532). Insbesondere Weisungen im Hinblick auf eine einzelne Entscheidung wie die Art und Weise des Kontakts sind regelmäßig nicht zulässig. Denkbar sind hingegen allgemeine Richtlinien zur Wahrnehmung der Aufgaben des Jugendamts als Vormund*in/Pfleger*in, sofern diese der Fachkraft hinreichend Spielraum für die Entscheidung im Einzelfall lassen.

Wie im Detail in den Fragen und Antworten zum Coronavirus unter dem Stichwort Vormundschaft/Pflegschaft und dem Unterstichwort „Was gilt derzeit in Bezug auf die Pflicht zum persönlichen monatlichen Kontakt in der üblichen Umgebung nach § 1793 Abs. 1a BGB“ dargestellt, entscheidet grundsätzlich auch in der derzeitigen Situation allein die Fachkraft, wie sie den sich aus § 1793 Abs. 1a BGB ergebenden Pflichten nachkommt, da es sich insoweit um eine auf den Einzelfall bezogene Entscheidung und daher eine weisungsfreie Angelegenheiten handelt.

In der aktuellen Situation beschränkt eine allgemeine Richtlinie, persönliche Mündelkontakte nur in dringenden Fällen durchzuführen, nach Auffassung des Instituts die Entscheidungsfreiheit der Fachkraft jedoch nicht unverhältnismäßig, da die Fachkraft weiterhin befugt ist, sich dann, wenn sie es für dringlich hält, einen persönlichen Kontakt zum Kind oder zum*zur Jugendlichen aufzunehmen. Im Übrigen sollten persönliche Kontakte bereits deswegen eingeschränkt werden, weil jeder Besuch einer Pflegefamilie oder einer Einrichtung durch die Fachkraft für die Pflegefamilie bzw. die in der Einrichtung lebenden Kinder und deren Erzieher*innen die Gefahr einer Infektion mit dem Coronavirus beinhaltet.

Ein*e Vormund*in/Pfleger*in – bezogen auf das Jugendamt die Fachkraft, die die Aufgaben des Jugendamts als Vormund*in/Pfleger*in wahrnimmt – entscheidet selbständig darüber, wie die Aufgaben wahrgenommen werden und unterliegt grundsätzlich keinen Weisungen des Familiengerichts (OLG Frankfurt 25.3.2019 – 5 UF 15/19, JAmt 2019, 528). Das Familiengericht hat demnach auch keine „Fachaufsicht“ gegenüber einem*einer Vormund*in/Pfleger*in. Es kann eine*n Vormund*in/Pfleger*in weder anweisen, auf welche Art und Weise der persönliche Kontakt zum Kind/zum*zur Jugendlichen im Einzelnen zu gestalten ist, noch eine*n Vormund*in/Pfleger*in von den gesetzlichen Vorgaben für die Kontaktgestaltung in § 1793 Abs. 1a BGB entbinden.

Erst dann, wenn das Familiengericht im Rahmen seiner Aufsicht feststellt, dass ein*e Vormund*in/Pfleger*in sich pflichtwidrig verhält, und der*die Vormund*in/Pfleger*in sein Verhalten auch nach Belehrung durch das Familiengericht fortsetzt, hat das Familiengericht nach § 1837 Abs. 2 S. 2 BGB mit geeigneten Ge- und Verboten, also durch Anordnung einer familiengerichtlichen Weisung, einzuschreiten. Insoweit ist zu beachten, dass bei der Bestellung des Jugendamts zum Vormund*in/Pfleger*in entsprechende Weisungen nicht gegenüber der einzelnen Fachkraft, sondern gegenüber dem Jugendamt als Vormund*in/Pfleger*in ergehen.

Nach Auffassung des Instituts ist es in der derzeitigen Situation gar nicht erforderlich, dem Familiengericht mitzuteilen, dass aktuell kein monatlicher persönlicher Kontakt stattfindet, weil es zum Allgemeinwissen zählt, dass derzeit persönliche Kontakte soweit wie möglich zu vermeiden sind. Die Fachkraft sollte jedoch dokumentierten, auf welche andere Art und Weise und wie oft sie mit dem Kind oder dem*der Jugendlichen Kontakt hatte und dies beim nächsten turnusmäßigen Bericht darstellen.