Gutachten des Deutschen Vereins zur Abgrenzung der Aufgaben der Vormundschaft von den übrigen Aufgaben des Jugendamts (§ 55 Abs. 5 SGB VIII nF)

Der Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge e. V. (DV) hat ein Gutachten (G 1/22 vom 4.4.2022, NDV 2022, 365, abrufbar im Mitgliederportal des DV) zu der Frage veröffentlicht, wie die ab 1.1.2023 geltende funktionelle, organisatorische und personelle Trennung der Aufgaben der Pflegschaft und Vormundschaft von den übrigen Aufgaben des Jugendamts auszulegen ist. Wie strikt dieses Trennungsgebot auszulegen und umzusetzen ist, wird aktuell kontrovers diskutiert (s. Bundesforum Vormundschaft und Pflegschaft e. V. [Bundesforum]/DIJuF Die große Vormundschaftsrechtsreform. Ein Materialienband für die Praxis, 2022; Lohse Editorial JAmt 2022, 297).

Der DV vertritt – wie das DIJuF –, dass das Trennungsgebot so zu verstehen ist, dass

"eine Fachkraft, die Aufgaben der Vormundschaft oder Pflegschaft übertragen bekommt, nicht nur für die unter ihrer Vormundschaft oder Pflegschaft stehenden Mündel, sondern auch darüber hinaus keine anderen Aufgaben des Jugendamtes wahrnehmen darf".

Übereinstimmung besteht auch insoweit, als das Trennungsgebot unabhängig von der aktuellen Personalstärke in einem Sachgebiet Pfleg-/Vormundschaft umzusetzen ist und kleinere Jugendämter überlegen können, gemeinsame Einrichtungen iSd § 69 Abs. 4 SGB VIII zu schaffen.

Neu in der Debatte ist der Ansatz des DV, dass ein

"bereits existierende[r] […] Standard […] den maßgeblichen Orientierungspunkt dafür [bietet], wie die Aufgabenbereiche im Jugendamt […] voneinander abzugrenzen sind, um eine wirksame Interessenvertretung der Mündel zu gewährleisten".

Aus Sicht des DV ist eine Trennung also nur dort erforderlich, wo sie einem bereits bestehenden fachlichen Standard entspricht und das Risiko eines Interessenskonflikts besteht. Davon ausgehend teilt er die Auffassung des DIJuF, dass eine Kombination von Aufgaben der Vormundschaft mit denen der Sozialen Dienste (ASD, PKD), der Beistandschaft und Beurkundungen nicht vertretbar sei.

Anders als das DIJuF sieht der DV es jedoch als zulässig an, dass die Aufgaben der Beratung, Gewinnung und Schulung von Vormund*innen mit den Aufgaben der Vormundschaft personell und organisatorisch verbunden werden. Denn es

"[ließe] sich schon im Ansatz kein fachlicher Qualitätsstandard nachweisen, nachdem das Vormundschaftswesen von vormundschaftsspezifischen Beratungen (§ 53a Abs. 1 SGB VIII n. F.) oder von denjenigen Aufgaben abzugrenzen wäre, die mit der Gewinnung, Schulung und Begleitung von ehrenamtlichen Vormündern verbunden sind".

Gegen diesen Standpunkt können folgende Argumente ins Feld geführt werden:

  • Die Intention des Gesetzgebers, Interessenskonflikte zu vermeiden, spricht für eine Trennung auch dieser Aufgaben, denn Interessenkonflikte können auch oder gerade entstehen, wenn die vorhergehende Amtsvormundin die nachfolgende ehrenamtliche Vormundin berät (etwa, wenn zwischen Kind und Amtsvormundin Konflikte bestanden oder wenn Pflegeeltern die ehrenamtliche Vormundschaft "gegen" das Jugendamt durchsetzen).
  • Die "allgemeine" Beratung gem. § 53a SGB VIII nF ist etwas anderes als der ggf. erforderliche Austausch zwischen einer vorgehenden und nachfolgenden Amtsvormundin (der unabhängig von der Beratungsaufgabe zulässig ist).
  • Es gibt keinen Nachweis/keine unumstößliche Erkenntnis, dass qualitätsvolle Beratung oder Schulung zwingend durch eine Person erfolgen müsse, die selbst Fälle führt (Beispiel: insoweit erfahrene Fachkraft).
  • Weder dem Wortlaut noch der Begründung des Regierungsentwurfs ist ein Vorbehalt mit der Aussage "Trennung nur da, wo sie dem fachlichen Standard entspricht" zu entnehmen. Ein solcher Vorbehalt wäre auch bedenklich, weil er die Interpretation, was ein bereits existierender fachlicher Standard ist, der jeweiligen Rechtsanwenderin überließe.

Gleichwohl liegen mit dem Gutachten des DV neben der Positionierung des Bundesforums nun zwei fachlich gewichtige Stimmen vor, die Beratung/Schulung und Fallführung in Personalunion für zulässig erachten. Jugendämter, die diesen Weg gehen möchten, können sich insofern auf die Positionen des DV und des Bundesforums stützen. Andere mögen vielleicht doch noch einmal über eine Kooperation mit einem Vormundschaftsverein, einem gemeinsamen Dienst oder eine Extra-Stelle für die Beratung, Schulung und ggf. auch die Vorschlagspflicht nachdenken.