Coronavirus-FAQ

Hilfe zur Erziehung - Stationär

Der Träger einer erlaubnispflichtigen Einrichtung (§ 45 SGB VIII) hat der zuständigen Aufsichtsbehörde („Heimaufsicht“) unverzüglich Ereignisse oder Entwicklungen zu melden, die geeignet sind, das Wohl der Kinder und Jugendlichen zu beeinträchtigen (§ 47 S. 1 Nr. 2 SGB VIII). Dasselbe gilt für eine bevorstehende Schließung der Einrichtung (§ 47 S. 1 Nr. 3 SGB VIII).

Im Zusammenhang mit COVID-19 bestehen zudem umfangreiche Meldepflichten gegenüber dem Gesundheitsamt. Diese betreffen neben nachgewiesenen Erkrankungen auch Verdachtsfälle. Solche liegen jeweils vor bei jeglichen mit COVID-19 vereinbaren Symptomen und Kontakt zu einem bestätigten Fall.

Kontakt in diesem Sinne ist definiert insbesondere als:

- Versorgung bzw. Pflege einer an COVID-19 erkrankten Person und/oder

- Aufenthalt am selben Ort (zB Klassenzimmer, Arbeitsplatz, Wohnung/Haushalt, erweiterter Familienkreis, Krankenhaus, andere Wohn-Einrichtung, Ferienlager) wie eine nachweislich an COVID-19 erkrankte Person, während diese symptomatisch war.

In den genannten Fällen ist unverzüglich eine namentliche Meldung an das zuständige Gesundheitsamt zu übermitteln. Bei Personen, die in Einrichtungen leben, ist dies das Gesundheitsamt, in dessen Bezirk die Einrichtung liegt. Diese Meldung muss neben den persönlichen Daten auch die Information umfassen, ob die Person in einer Einrichtung der Jugendhilfe betreut wird oder arbeitet.

Näheres zu den Meldepflichten nach dem Infektionsschutzgesetz (IfSG) ist auf der Webseite des Robert-Koch-Instituts zu finden.

Um die Einrichtungsträger von bürokratischem Zusatzaufwand zu entlasten, empfehlen wir, die Meldung an das Gesundheitsamt ebenso als Meldung im Rahmen von § 47 SGB VIII an die Aufsichtsbehörde zu übermitteln. Eine einfache anonymisierte Kopie der Meldung an das Gesundheitsamt sollte dafür zunächst genügen. Auch sollten die Einrichtungsträger jegliche Anordnungen, die sie vom Gesundheitsamt erhalten, in Kopie an die Aufsichtsbehörde übermitteln.

Vor der Erfüllung einer gesetzlichen Meldepflicht im Zusammenhang mit den Bemühungen zur Eindämmung des Coronavirus ist es nicht erforderlich, Einwilligungserklärungen der betroffenen Personen einzuholen. Dies gilt sowohl für Meldungen erlaubnispflichtiger Einrichtungen an die für sie zuständigen Aufsichtsbehörden nach § 47 S. 1 Nr. 2 SGB VIII (idR die jeweiligen Landesjugendämter) als auch für Meldungen an das örtlich zuständige Gesundheitsamt aufgrund von Meldepflichten nach dem Infektionsschutzgesetz (IfSG). Zwar sind Gesundheitsdaten betroffen, die gem. Art. 9 Abs. 1 DSGVO grundsätzlich nicht verarbeitet werden dürfen, Art. 9 Abs. 2 DSGVO sieht jedoch eine Reihe von Ausnahmetatbeständen vor. Auf Grundlage der Öffnungsklausel in Art. 9 Abs. 2 Buchst. i DSGVO hat der deutsche Gesetzgeber Befugnisse geschaffen, die für die hier gegebenen Fälle sowohl öffentlichen als auch nicht-öffentlichen Stellen zum Schutz vor grenzüberschreitenden Gesundheitsgefahren die erforderlichen Datenübermittlungen erlauben. Dennoch gilt, dass die betroffenen Personen über Meldungen zu informieren sind, um dem Transparenzgebot des Art. 5 Abs. 1 Buchst. a DSGVO gerecht zu werden.

Eine Meldung nach § 47 S. 1 Nr. 2 SGB VIII durch eine kommunale Jugendhilfeeinrichtung kann auf § 67b Abs. 1 S. 3 SGB X iVm § 69 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 bzw. Alt. 3 SGB X gestützt werden. Die Vorschriften erlauben eine Übermittlung auch von besonders sensiblen Gesundheitsdaten zwischen zwei Sozialleistungsträgern, soweit diese zu deren Aufgabenerfüllung erforderlich ist. Einrichtungen in freier Trägerschaft dürfen die erforderlichen Daten auf Grundlage der Vorschrift des § 22 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c BDSG übermitteln, die es auch nicht-öffentlichen Stellen erlaubt, aus Gründen des öffentlichen Interesses im Bereich der öffentlichen Gesundheit, wie dem Schutz vor schwerwiegenden grenzüberschreitenden Gesundheitsgefahren, Datenverarbeitungen im Hinblick auf besonders sensible Gesundheitsdaten vorzunehmen. Unabhängig von der Trägerschaft der Einrichtung sind angemessene Vorkehrungen zu treffen, um die Interessen der Betroffenen zu schützen (zB organisatorisch-technische Maßnahmen für eine sichere Übermittlung, vgl § 67b Abs. 1 S. 4 SGB X iVm § 22 Abs. 2 BDSG entsprechend bzw. § 22 Abs. 2 BDSG).

Eine Meldung nach dem IfSG an das Gesundheitsamt durch kommunale Einrichtungen darf auf Grundlage von § 71 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB X (iVm § 67b Abs. 1 S. 3 SGB X) erfolgen. Diese Vorschrift erlaubt eine Übermittlung von Sozialdaten, soweit sie für die Erfüllung der gesetzlichen Mitteilungspflichten zum Schutz der öffentlichen Gesundheit nach § 8 IfSG erforderlich ist. Die Pflicht der Einrichtungsleitungen von stationären Jugendhilfeeinrichtungen („Heimen“) zur Meldung von Corona-(Verdachts-)Fällen ergibt sich hier aus § 8 Abs. 1 Nr. 7 IfSG. Einrichtungen in freier Trägerschaft können die Übermittlung an das Gesundheitsamt genau wie die Meldung nach § 47 SGB VIII auf § 22 Abs. 1 Buchst. c BDSG stützen.

Die Träger haben mit Blick auf die in ihren Einrichtungen betreuten jungen Menschen besondere Fürsorgepflichten. Dazu gehört es insbesondere, Ereignissen und Entwicklungen vorzubeugen, die das Wohl der Kinder und Jugendlichen beeinträchtigen können, was auch deren Gesundheit umfasst. Es ist daher insbesondere Aufgabe der Einrichtungsträger, die Regelungen des Gesundheitsschutzes zu beachten und in den Einrichtungen durchzusetzen. Welche Maßnahmen dies jeweils erfordert, kann nicht allgemeingültig beantwortet werden.

In jedem Fall ist Anordnungen des Gesundheitsamts (insbesondere zur Quarantäne) Folge zu leisten, sodass Kontakte spätestens ab diesem Zeitpunkt zu unterbinden sind. Darüber hinaus sollten nach Möglichkeit auch Kontakte zu Personen in der Einrichtung reduziert werden, die zwar nicht nachweislich an COVID-19 erkrankt sind, aber Krankheitszeichen einer Infektion mit dem neuartigen Coronavirus zeigen. Dies sind insbesondere Husten, Schnupfen und Fieber sowie gestörte Geruchs- und Geschmackswahrnehmung.

Allerdings sind alle präventiven Maßnahmen, die nicht unmittelbar durch das Gesundheitsamt angeordnet sind, stets im Einzelfall mit anderen Belangen abzuwägen. Sie müssen zudem verhältnismäßig sein. Dies kann erfordern, zB Maßnahmen zur Kontaktreduzierung und zur Sicherstellung der Hygieneregeln vorrangig vor Kontakt- und Ausgangsverboten zu prüfen.

Freiheitsentziehende Maßnahmen nach § 1631b BGB kommen zur Durchsetzung der Quarantäne uE nicht in Betracht. Diese setzen eine erhebliche Selbst- oder Fremdgefährdung voraus. Die potenzielle Übertragung des Virus durch das betroffene Kind stellt keine hinreichend konkrete, erhebliche Fremdgefährdung dar (s. zu freiheitsentziehenden Maßnahmen auch das DIJuF-Rechtsgutachten JAmt 2017, 495).

Angesichts der Dynamik der Verbreitung und der damit einhergehenden Einschränkungen bei den Behörden und Trägern sind zu der Fragestellung der Auswirkungen auf das Personal bei Auftreten einer Coronainfektion in der Einrichtung keine definitiven Aussagen möglich. Die Maßnahmen müssen stets mit anderen Belangen (Praktikabilität, Aufrechterhaltung des Einrichtungsbetriebs) abgewogen werden.

In Zweifelsfällen und zur Abklärung der möglichen und notwendigen Maßnahmen sollten Träger das zuständige Gesundheitsamt kontaktieren. Dessen Anordnungen ist Folge zu leisten.

Das Management von Kontaktpersonen sollte soweit wie möglich den Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts folgen. Zugleich sind pragmatische Lösungen gefragt, um den Einrichtungsbetrieb im Interesse der jungen Menschen aufrecht zu erhalten. Welche Maßnahmen daraus folgen (können), hängt von den konkreten Umständen in der Einrichtung ab.

Das Robert-Koch-Institut benennt derzeit zwei Kategorien von Kontaktpersonen (Stand: 25.1.2021), bei denen jeweils unterschiedliche Vorgehensweisen empfohlen werden. Die Zuordnung zu den Kategorien hängt von der Intensität des Kontakts zur infizierten Person ab.

Personen, die ohne adäquaten Schutz einen Face-to-Face-Kontakt (bspw. Gespräch) von 15 Minuten oder länger zur infizierten Person hatten, und Personen, die länger als 30 Minuten in einem Raum mit wahrscheinlich hoher Konzentration infektiöser Aerosole waren, gehören zur Kategorie I. Sie müssen in häusliche Absonderung gehen. Hier ist abzuwägen und mit den Betroffenen zu besprechen, ob

- die Isolation im privaten Haushalt erfolgt, mit der Folge, dass die Betreuungskraft dann für diese Zeit ausfällt, oder

- eine „Gruppenisolation“ der Wohngruppe erfolgen kann (bei familienanalogen Gruppen). Dies hat den Vorteil, dass die Anzahl der Kontaktpersonen nicht durch Neuzusammensetzung der Gruppe oder Hinzuziehung anderen Personals steigt, mit der Folge zu erwartender weiterer Infektionsketten. Diese Lösung kommt aber nur im Einvernehmen mit der betroffenen Betreuungskraft in Betracht und sollte auch mit dem Gesundheitsamt abgestimmt werden.

Personen, bei denen eine infektionsrelevante Exposition nicht sicher ausgeschlossen werden kann, werden der Kategorie II zugeordnet. Kontaktpersonen dieser Kategorie können zunächst – solange keine Symptome auftreten – grundsätzlich weiterarbeiten, sollten aber die Kontakte reduzieren, dh insbesondere die Abstandsregeln einhalten. Besondere Vorsicht ist – auch ohne Symptomatik – bei Personal geboten, das auch pflegerische Aufgaben übernimmt und damit zwangsläufig in nahen Körperkontakt mit Klient*innen kommt.

Nähere Informationen zum Management von Kontaktpersonen sowie Beispiele zur Einordnung in die verschiedenen Kategorien finden sich auf der Webseite des Robert-Koch-Instituts.

 Kinder und Jugendliche, die bereits in einer Einrichtung der Jugendhilfe leben und betreut werden, können grundsätzlich dort auch nach einem positiven Test auf das Coronavirus (SARS-CoV-2) weiterbetreut werden, soweit und solange eine Krankenhausaufnahme nicht erforderlich ist. Dabei sind die Meldepflichten gegenüber der Gesundheitsbehörde zu beachten (s. Frage zu Meldepflichten). Näheres zu den Meldepflichten nach dem Infektionsschutzgesetz (IfSG) ist auf der Webseite des Robert-Koch-Instituts zu finden.

Auch die Aufsichtsbehörde („Heimaufsicht“) muss in diesem Fall informiert werden (s. Frage zu Meldepflichten). Anordnungen des Gesundheitsamts ist Folge zu leisten. Ermöglichen es die Gegebenheiten in der Einrichtung nicht, eine Quarantäne wie angeordnet sicherzustellen, muss unverzüglich in Abstimmung mit dem Jugendamt und dem Gesundheitsamt nach einer anderen Lösung gesucht werden. Gegebenenfalls muss eine Isolation im Krankenhaus organisiert werden.

Einrichtungen können in Abstimmung mit dem Jugendamt und dem Gesundheitsamt grundsätzlich auch Kinder neu aufnehmen, die mit COVID-19 infiziert sind. Dabei handelt es sich um einen Vorgang, der der Aufsichtsbehörde („Heimaufsicht“) anzuzeigen ist (§ 47 SGB VIII). Erforderlich ist auch hier, dass die Anordnungen des Gesundheitsamts in der Einrichtung befolgt werden können. Ist dies in einer Einrichtung aufgrund zB baulicher, personeller oder organisatorischer Gegebenheiten nicht möglich, darf das Kind dort nicht aufgenommen werden und ist eine anderweitige Unterbringung sicherzustellen.

Ordnet das Gesundheitsamt gegenüber einer Einrichtung einen Aufnahmestopp an, ist diesem Folge zu leisten. Gegebenenfalls sollte das Jugendamt mit dem Gesundheitsamt in Kontakt treten, um im Hinblick auf die Bedarfsdeckung vertretbare Lockerungen zu erreichen. Ggf. kann dem Infektionsschutz auch durch Auflagen hinreichend genügt werden.

Das Fachkräftegebot (§ 72 SGB VIII) gilt unmittelbar nur für den Träger der öffentlichen Jugendhilfe. Der freie Träger wird aber über Finanzierungsvereinbarungen (§§ 77, 78a ff SGB VIII) mit dem öffentlichen Träger der Jugendhilfe bzw. über die Betriebserlaubnis (§ 45 SGB VIII) daran gebunden. Generell muss der Träger stets für einen ausreichenden Personaleinsatz sorgen und dafür ggf. auch Personalreserven vorhalten. In der Praxis sind die Personalmengen in den Leistungs- und Entgeltvereinbarungen aber häufig knapp bemessen, hinzu kommt der Fachkräftemangel. Dies führt bereits im „Normalbetrieb“ dazu, dass zu Spitzenerkrankungszeiten bisweilen nicht genug Personal vorhanden ist. Die Aufsichtsbehörde sollte in der Situation aufgrund der Pandemie mit Anordnungen (zB Aufnahmestopp) und Zwangsgeldern im Interesse der Aufrechterhaltung des Betriebs im Rahmen des Vertretbaren zurückhaltend sein. Einrichtungsträger sollten sich dennoch um Ersatz bemühen (zB Leiharbeit, verbundene Unternehmen, andere Einrichtungen desselben Trägers) und diese Bemühungen dokumentieren und der Aufsichtsbehörde nachweisen. Eine Streichung der Förderung oder Entziehung der Betriebserlaubnis ist gerade in der derzeitigen Situation kontraproduktiv.

Zudem ist im Sinne der Hilfekontinuität davon auszugehen, dass auch eine vorübergehende anderweitige Unterbringung (Notbetreuung) der Minderjährigen in vielen Fällen nicht förderlich ist. Ausgehend von Sinn und Zweck des Fachkräftegebots wird daher im Einzelfall zu prüfen sein, ob eine Einrichtung auch mit einer nach den getroffenen Vereinbarungen bzw. der Betriebserlaubnis nicht ausreichenden Zahl an Fachkräften oder ohne Fachkraft vor Ort (bei Sicherstellung der Möglichkeit der Beratung und Betreuung der Einrichtung durch externe Fachkräfte) im Notbetrieb weitergeführt werden kann. Dies hängt ua von der Art der Einrichtung und den Problemstellungen der in der Einrichtung betreuten Minderjährigen ab. Das Fehlen von Fachkräften ist bspw. in einer betreuten Wohngruppe für Jugendliche oder in der Kindertagesbetreuung für eine Übergangszeit eher möglich, in einer Inobhutnahmestelle sind Fachkräfte hingegen unverzichtbar. Für den Notbetrieb insgesamt gilt, dass zumindest die Unterbringung der Kinder und Jugendlichen als solche gesichert sein muss. Ggf. können aber bestimmte fachliche Aufgaben derzeit nicht durchgeführt werden, weil diese den Einsatz von Fachkräften mit bestimmten Qualifikationen erfordern (§ 72 Abs. 1 S. 2 SGB VIII).

Aus rechtlicher Sicht ist § 72 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB VIII heranzuziehen. Hiernach können auch Personen aufgrund ihrer besonderen Erfahrungen in der Sozialen Arbeit beschäftigt werden. Die Vorschrift war als Übergangsvorschrift gedacht, damit das Fachkräftegebot nicht einem Berufsverbot gleichkommt und findet so gut wie keine Anwendung mehr, da inzwischen alle über die erforderlichen formellen Qualifikationen verfügen und es im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe zahlreiche Aufgaben gibt, für die ein formeller Abschluss und besondere Zusatzqualifikationen gefordert werden. In der derzeitigen Ausnahmesituation dürfte die Vorschrift aber verstärkt Anwendung finden, sodass bspw. auf einen formellen Abschluss verzichtet werden kann, sofern die notwendige Praxiserfahrung gegeben ist. Bspw. könnten auch Studenten der Sozialen Arbeit, die nur noch den formellen Abschluss benötigen oder ausländische Fachkräfte, die auf die Anerkennung ihres Abschlusses in Deutschland warten, eingesetzt werden, um den Weiterbetrieb zu gewährleisten.

Lebt ein Kind in einer Einrichtung und wird in der Einrichtung unter Quarantäne gestellt, ist grundsätzlich in jedem Fall den Anordnungen des Gesundheitsamts Folge zu leisten, sodass Kontakte nach außen spätestens ab der Anordnung von (häuslicher) Quarantäne zu unterbinden sind. Im Fall der angeordneten Quarantäne sind Kontakte zu Personen, die nicht dem eigenen Haushalt angehören, verboten. Mitbewohner*innen und Familienangehörige des gleichen Haushalts sollen sich in der Regel in anderen Räumen aufhalten oder einen Abstand von mindestens 1,5 Metern einhalten.

Hilfeplangespräche müssen daher in diesem Fall verschoben werden. Möglicherweise können auch Kommunikationsformen wie bspw. Videokonferenzen genutzt werden (s. Fragen unter der Rubrik Datenschutz). Gleiches gilt für den Kontakt zum Vormund.

Ist keine (häusliche) Quarantäne angeordnet, ist sorgfältig abzuwägen, ob das Gespräch angesichts der Regelungen der Bundesregierung zur weitestgehenden Vermeidung sozialer Kontakte stattfinden sollte. Falls es unaufschiebbar erscheint und allein ein persönlicher Kontakt in Frage kommt, sind die üblichen Schutzvorkehrungen zu treffen (großer Abstand, kein Händegeben usw).

Das VG Hamburg hat am 16.4.2020 – 11 E 1630/20 im Eilverfahren entschieden, dass einer Mutter nicht aufgrund der Coronavirus-Eindämmungsverordnung untersagt werden kann, ihre Kinder, die in einer stationären Einrichtung (Kinderschutzhaus) untergebracht sind, zu besuchen. Diese Verordnung, die den Eltern den Besuch und das Betreten von besonderen Formen von Kinderschutzeinrichtungen  ohne Ausnahme untersagt, verletze – so das VG Hamburg – das Elterngrundrecht.

In der aktuellen Situation sorgen sich die Träger um die Gesundheit ihrer Beschäftigten und der betreuten jungen Menschen und Familien. Insbesondere zu Beginn der Pandemie haben Träger berichtet, dass sie im Falle auftretender Infektionen keine oder keine ausreichende Schutzausstattung zur Verfügung haben und diese auch angesichts des verbreiteten Mangels nicht kurzfristig beschaffen können. Hier treffen verschiedene Belange aufeinander: Arbeitsschutz, Infektions- und Gesundheitsschutz, Kinderschutz.

Wir empfehlen Trägern von Einrichtungen und Diensten, die Problematik, soweit eine solche angesichts der verschärften Regelungen zum Mund-Nasen-Schutz nochmals auftritt, bei den zuständigen Stellen anzuzeigen, auch wenn dadurch vielfach keine kurzfristige Lösung zu erwarten ist. Eine schriftliche Meldung mit der Bitte um eine Rückmeldung zur gebotenen Vorgehensweise sollte erfolgen an:

- das Jugendamt als zuständigen Leistungsträger,

- das Gesundheitsamt als zuständige Infektionsschutzbehörde,

- bei Einrichtungen, die eine Betriebserlaubnis benötigen, an die zuständige Aufsichtsbehörde („Heimaufsicht“),

- ggf. die Berufsgenossenschaft als für den Arbeitsschutz zuständige Stelle.

Bis zu einer angemessenen Lösung sollten Träger ihr Möglichstes tun, um die vorgeschriebenen bzw. empfohlenen Regelungen zum Gesundheitsschutz so gut wie möglich umzusetzen, und die getroffenen Maßnahmen dokumentieren. Wenn und soweit dem Träger die Leistungserbringung unzumutbar ist, kann ihm auch ein Leistungsverweigerungsrecht zustehen. Hier ist aber stets eine Abwägung mit den Interessen der jungen Menschen und Familien sowie des Jugendamts als verantwortlichem Leistungsträger – insbesondere mit Blick auf den Kinderschutz – vorzunehmen.

Diese Frage betrifft mehrere rechtliche Ebenen, insbesondere das Arbeitsrecht und das Leistungserbringungsrecht.

Arbeitsrechtlich – also im Verhältnis des freien Trägers als Arbeitgeber zu seinen Mitarbeiter*innen – kommt es darauf an, ob die jeweilige Tätigkeitsänderung vom arbeitgeberseitigen Direktionsrecht umfasst ist (zB ggf. Betreuung über Video-Chat) bzw. ob sie von einer wirksamen arbeitsvertraglichen Versetzungsklausel oder auch tarifvertraglich abgedeckt ist (zB Einsatz an anderem Standort). Diese Frage ist in jedem Einzelfall zu prüfen und kann nicht allgemeingültig beantwortet werden. Arbeitgeber haben aber jedenfalls stets auch die berechtigten Interessen ihrer Beschäftigten zu beachten und dürfen keine unzumutbaren Tätigkeitsänderungen verlangen (zB Überforderung bei Unterqualifikation, erhebliche Selbst- oder Fremdgefährdung).

Da Arbeitgeber in der aktuellen Pandemiephase gehalten sind, möglichst weitgehende Homeofficemöglichkeiten zu schaffen, ist zu überlegen, welche Fälle ambulanter Hilfe- und Unterstützung (zB Beratung) in digitaler Form erfolgen können. Dies wird vom jeweiligen Hilfebedarf im Einzelfall abhängen.

Leistungserbringungsrechtlich – also im Verhältnis des freien Trägers zum Jugendamt – ist in solchen Fällen zu klären, ob die abgewandelte Leistungserbringung (zB Beratung per Video-Chat, Einsatz von Nichtfachkräften) zulässig sein soll und wie sich die Änderung ggf. auf die Vergütung auswirkt (s. dazu auch die Frage zu den sog. Notlagenvereinbarungen).

Kosten für besondere Hilfsmittel (wie zB Notebooks), die während der Corona-Zeit für den Schulunterricht bzw. das „Homeschooling“ notwendig sind, könnten als einmalige Leistungen (Beihilfen oder Zuschüsse) gem. § 39 Abs. 3 SGB VIII übernommen werden. Diese werden insbesondere bei wichtigen persönlichen Anlässen gewährt, worüber der Träger der öffentlichen Jugendhilfe nach pflichtgemäßem Ermessen entscheidet (vgl. dazu FK-SGB VIII/Tammen, 8. Aufl. 2018, SGB VIII § 39 Rn. 16).

In vielen Empfehlungen oder Richtlinien der Bundesländer gibt es weitere Hinweise darauf, was unter einmalige Beihilfen oder Zuschüsse fallen kann (vgl. zB die „Empfehlungen der Landeskommission Jugendhilfe NRW“ oder „Anregungen und Empfehlungen für Niedersächsische Jugendämter“). In NRW gibt es danach die Möglichkeit, weitere Nebenleistungen aus besonderen Anlässen zu übernehmen. Dementsprechend können für spezielle und im Einzelfall notwendige Bedarfe Einzelanträge gestellt werden, über die das Jugendamt dann nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden hat. Nach Auffassung des Instituts kann in der derzeitigen besonderen und vollkommen neuen Lage durch die Corona-Situation durchaus ein solcher Bedarf für die Anschaffung eines Notebooks für Schüler, die in einem Heim untergebracht sind, bestehen, wenn sie ansonsten einen großen Teil des Schulunterrichts und Schulstoffes nicht vermittelt bekommen können und auch nicht bearbeiten können. Dies sollte eine Einzelfallabwägung sein, je nachdem, wie die konkrete Schule im jeweiligen Fall in der derzeitigen Lage ihren Unterricht gestaltet. Es gibt auch die Möglichkeit von Leihgeräten, allerdings sollte da sinnvollerweise vorher mit der Schule abgestimmt werden, inwieweit auch nach Corona noch mit digitalen Medien gearbeitet werden soll. Auch spielt sicherlich eine Rolle, ob es in dem Heim bereits Computer oder Laptops gibt, und ob diese ausreichend sind, um sich damit bei den Schulaufgaben abzuwechseln. Gibt es keine solche Möglichkeit und ist der*die Schüler*in dringend auf ein Notebook angewiesen, um weiter in der Schule (mit)arbeiten zu können, so dürfte aus unserer Sicht nichts dagegen sprechen, die Kosten für die Anschaffung eines Notebooks im Rahmen von § 39 Abs. 3 SGB VIII zu übernehmen.

Halten sich junge Menschen während der Gewährung einer Heimerziehung regelmäßig oder für einen längeren Zeitraum nicht in der Einrichtung, sondern bei den Eltern, Verwandten oder auch ehemaligen Pflegeeltern auf, erhält für diese Zeiten üblicherweise die Einrichtung weiterhin das so genannte Bettengeld (zB 80% der üblichen Tagessätze) und die Personen, die die jungen Menschen tatsächlich versorgen, eine Art Kostgeld, entweder unmittelbar von der Einrichtung oder vom Jugendamt. Die Verpflichtung zur Zahlung eines Kostgeldes ergibt sich daraus, dass das Jugendamt bei der Gewährung einer vollstationären Hilfe zur Sicherstellung des Unterhalts verpflichtet ist (§ 39 SGB VIII).

Dies gilt auch, wenn junge Menschen wegen der Corona-Krise – unter der Voraussetzung, dass die Unterbrechung der Hilfe in der Einrichtung rechtlich zulässig ist (zur Unterbrechungsmöglichkeit s. auch FAQ unter der Rubrik Hilfeplanung/-gewährung/-unterbrechung „Falls stationäre Einrichtungskapazitäten fehlen, können Hilfen beendet und Kinder kurzfristig zu ihren Eltern zurückgeführt werden?“) – vorübergehend von Verwandten aufgenommen werden: der anfallende Sachaufwand für die Versorgung muss vom Jugendamt getragen werden, zB durch Zahlung eines Kostgeldes (zur Kostenheranziehung s. FAQ unter der Rubrik Kostenbeteiligung „Wie wirkt es sich auf die Kostenheranziehung aus, wenn eine stationäre Hilfe aufgrund der Corona-Krise unterbrochen wird?“). Darüber hinaus ist zu prüfen, ob nicht auch eine kurzfristige Vollzeitpflege gem. § 33 SGB VIII zu gewähren ist. Dies wäre jedenfalls dann der Fall, wenn junge Menschen in der Einrichtung aufgrund etwa von deren Schließung aktuell gar nicht mehr betreut werden können (zur Finanzierung s. FAQ unter der Rubrik Finanzierung von Leistungen „Haben die Leistungserbringer weiterhin Entgeltansprüche gegen das Jugendamt, wenn die Leistung nicht in Anspruch genommen wird (zB aufgrund von Quarantäne oder von angeordneten Schließungen)?“) oder ggf. auch bereits, wenn Bezugsbetreuer*innen für die jungen Menschen nicht mehr zur Verfügung stehen und die Verwandten alle Erziehungsaufgaben übernehmen. Dann wäre durch das Jugendamt Pflegegeld zu zahlen (§ 39 SGB VIII).

Digitale Kommunikationsformen haben durch die Corona-Pandemie in verschiedenen Lebensbereichen auch für Kinder und Jugendliche massiv an Bedeutung gewonnen. Voraussetzung ist der Zugang zu einem heimischen Internetanschluss, der aber in stationären Wohneinrichtungen und bei Pflegefamilien nicht flächendeckend vorhanden ist. Es stellt sich die Frage, ob Jugendämter die Kosten dafür übernehmen dürfen oder sogar müssen. Nach Auffassung des Instituts lässt sich die einvernehmliche Kostenübernahme durch das Jugendamt für WLAN in stationären Wohneinrichtungen – auch wenn diese bislang nicht in der Entgeltvereinbarung aufgenommen ist – juristisch gut begründen, in Pflegefamilien – zumindest für einen Übergangszeitraum – ebenfalls. Schwieriger zu beantworten ist die Frage, ob der Träger der öffentlichen Jugendhilfe von den Einrichtungsträgern vor Ablauf der Entgeltvereinbarung zur Kostenübernahme gezwungen werden kann.

Unabhängig von der Unterbringungsform ist der Träger der öffentlichen Jugendhilfe verpflichtet, den wiederkehrenden Bedarf des untergebrachten Kindes durch laufende Leistungen zu decken, dh sowohl den notwendigen Unterhalt einschließlich Sachaufwand als auch die Kosten der Pflege und Erziehung (vgl. § 39 Abs. 1, 2 SGB VIII). Der „Sachaufwand“ beinhaltet auch Dinge des persönlichen Bedarfs, wozu in vertretbarem Umfang auch die Kosten für eine Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft gehören. Nach Auffassung des Instituts fallen auch die Kosten für heimisches WLAN darunter, da dies schon in „normalen“ Zeiten Voraussetzung für soziale und digitale Teilhabe sowie intergraler Bestandteil der Pflege von Kontakten ist. Aktuell gilt dies verschärft, da ein WLAN-Zugang zwingende Voraussetzung auch zur Teilnahme am Bildungsleben (Nutzung von Online-Lernplattformen, Videokonferenzen mit Lehrkräften etc) ist.

Sind Kinder und Jugendliche in stationären Einrichtungen untergebracht, hängt die Höhe der laufenden Leistungen von der mit dem Einrichtungsträger für einen bestimmten Zeitraum im Voraus abgeschlossenen Entgeltvereinbarung ab (vgl. §§ 78b, 78d SGB VIII). Vielfach dürften Kosten für privates WLAN in den entsprechenden Bedarfskalkulationen der Einrichtungsträger noch nicht enthalten sein. Die Erbringung einer Nachzahlung durch das Jugendamt für einen vergangenen Vereinbarungszeitraum ist in jedem Fall unzulässig (§ 78d Abs. 1 S. 2 SGB VIII), möglich ist es aber jederzeit, einvernehmlich eine neue Vereinbarung abzuschließen und die laufenden Leistungen für die Zukunft zu erhöhen (Krug/Riehle/Schwarz SGB VIII, Stand: 6/2016, SGB VIII § 78d Rn. 17).

Ob der Träger der öffentlichen Jugendhilfe vom Einrichtungsträger zu Neuverhandlungen und zum Abschluss einer neuen Vereinbarung gezwungen werden könnte, lässt sich hingegen nicht eindeutig beantworten. Allgemein ist dies nur in engen Ausnahmefällen möglich, nämlich bei unvorhergesehenen wesentlichen Änderungen der Annahmen, die der Entgeltvereinbarung zugrunde lagen (§ 78d Abs. 3 S. 1 SGB VIII). Anerkannt wurde dies bisher in Fällen, in denen eine wesentliche Änderung der Umstände – anders als bei den hier zur Diskussion stehenden WLAN-Kosten – auch mit massiven Kostensteigerungen für den Einrichtungsträger einherging. Aus Sicht des Instituts ist dieser Zusammenhang jedoch nicht zwingend. Mangels veröffentlichter Rechtsprechung lässt sich die im Streitfall maßgebliche rechtliche Einschätzung von Schiedsstellen und Gerichten zu der Frage aber nicht vorhersagen.

Anders als die Leistungsvereinbarungen mit den Einrichtungsträgern, können Jugendämter die Höhe des an Pflegefamilien geleisteten monatlichen Pauschalbetrags nicht unmittelbar beeinflussen. Dieser wird durch die nach Landesrecht zuständige Stelle festgesetzt (§ 39 Abs. 5 S. 1 SGB VIII; idR die oberste Landesjugendbehörde, das Landesjugendamt oder Bezirksbehörden). Ein individuell gesteigerter Bedarf im Einzelfall, für dessen Deckung das Jugendamt nach eigenem Ermessen ein erhöhtes Pflegegeld zahlen könnte, liegt nach Auffassung des Instituts ebenfalls nicht vor. Denn der durch die Kontaktbeschränkungen gesteigerte Bedarf, zu Hause WLAN zu nutzen, entspricht gerade dem Durchschnittsfall von (insbesondere jugendlichen) Pflegekindern. Begründen ließe sich daher allenfalls die Zahlung einer einmaligen Beihilfe (§ 39 Abs. 3 SGB VIII ggf. iVm landesrechtlichen Ausführungsvorschriften) zur Deckung der WLAN-Kosten für einen begrenzten Zeitraum. Anders als bei der corona-bedingten Anschaffung etwa eines Notebooks (vgl. dazu die Frage zur Übernahme der Kosten für ein Notebook sowie das DIJuF-Rechtsgutachten JAmt 2020, 297 abrufbar unter www.kijup-online.de), bedarf es für die Deckung monatlicher widerkehrender Kosten als einmalige Beihilfe einer etwas konstruierten juristischen Argumentation, sodass zu hoffen bleibt, dass die zuständigen Stellen auf Landesebene künftig den entsprechenden Bedarf bei der Festsetzung der Pflegegeldpauschalen berücksichtigen (vgl. zum Ganzen ausführlich: DIJuF-Rechtsgutachten JAmt 2021, 89).